Heute im STANDRAD – RONDO
Griechenlands Menschen am Wort
28. Juni 2012, 17:02
Wie reagieren die Griechen auf die hellenische Krise? Viele Athener kehren zurück auf ihre Inseln. Im Blog “Griechenland blüht” hält Fabian Eder diese Schicksale fest
“Zwei Jahre lang hat sich in unseren Köpfen langsam das Bild des steuerhinterziehenden Griechen manifestiert, der deutsche Fahnen anzündet”, sagt Regisseur und Kameramann Fabian Eder. An einem Freitagmorgen, irgendwann Mitte März, traf er gemeinsam mit zwei befreundeten Künstlern ganz spontan die Entscheidung, dieses Bild, das uns Athen als Griechenland zeigt, zu hinterfragen und diese Skepsis, die sie beschäftigt, in einem Film zu dokumentieren.
Nicht aus dem Urlaubskatalog
Eder und seine beiden Kollegen Andreas Handl und Richie Wagner haben sich also auf den Weg gemacht, um einen Monat lang durch Griechenland zu reisen. Durch ein Griechenland, wie es sonst nur außerhalb der Saison, der Nachrichtensendungen und der Tui- und Neckermann-Urlaubskataloge existiert. Sie haben dabei jene Menschen gesucht und gefunden, die sich allesamt dadurch auszeichnen, dass sie dezidiert im Land bleiben wollen und sich lieber den Problemen von gestern, heute und morgen stellen, als vor der Krise zu flüchten.
Die Griechen und Griechinnen kommen zu Wort
Währenddessen war die Schauspielerin Katharina Stemberger in Wien aktiv, und so wurde aus der ersten vagen Idee schließlich ein Projekt unter der Schirmherrschaft von André Heller. Viele prominente Unterstützer haben sich seitdem angeschlossen – angefangen von Alexander Goebel und Barbara Stöckl, über Franz Vranitzky und Maria Vassilakou bis hin zu Robert Menasse und Erhard Busek. Herausgekommen sind ein Blog und ein 50-minütiger Film, in dem die porträtierten Griechinnen und Griechen selbst zu Wort kommen. Die Erstausstrahlung ist am 4. Juli um 20.15 auf3sat. RONDO bringt einen kleinen Vorabdruck. (red, Rondo, DER STANDARD, 29.6.2012)
Manoussos: Geld
Der 28-jährige Musiker Manoussos Pollakis trifft uns in den Bergen von Kreta, im kleinen Dorf Drakona. Kretas Küche auf 1800 Meter Seehöhe ist unverwechselbar: Slow Food mit den Zutaten aus der unmittelbaren Umgebung.
“Geld ist nicht alles”, sagt Manoussos. “Das ist die große Erkenntnis dieser Krise. Du weißt das, ich weiß das, aber die Politiker scheinen das noch immer nicht zu wissen – weder unsere noch die in Europa. Die sorgen sich doch nur um Märkte und Banken. Die Menschen, so wie wir, kommen ganz zum Schluss. Wir sind für die doch nur wie Ameisen!” Kurz hält Manoussos inne, blickt zu Boden, dann wieder auf. “Meine größte Sorge ist: Wenn die Dinge schlimmer werden, dann kann es zu Gewalt kommen.”
Doch warum sieht man in Kreta selbst nicht viel von der Krise? “Schau dich doch einmal um! Wir haben Obst und Gemüse, und auf Kreta leben zigtausende Ziegen und Schafe. Ja sogar hier oben wachsen Olivenbäume. Und wenn ich Durst habe, gehe ich da runter, da ist eine Quelle, und trinke Wasser. In Athen musst du für einen Schluck Wasser bezahlen. Aber wir hier auf Kreta werden sicher nicht verdursten.”
Michalis & Vivi: Liebe
Michalis Petropoulos ist Bürgermeister der Touristeninsel Ios. Im Hochsommer überrannt, wirkt die kleine Insel in der Nebensaison idyllisch und ein bisschen verschlafen. “Ich bin Bürgermeister, weil ich die Insel liebe, und nicht weil ich Politiker bin. Wenn du liebst, was du tust, dann gibt es nur die Wahrheit. Die griechischen Politiker haben nie die Wahrheit gesagt! Warum? Na ganz einfach! Weil sie ihr Land nicht lieben! Sie sind Politiker aus reinem Egoismus.”
Vivi, 25 Jahre alt, ist erst vor einigen Monaten auf die Insel zurückgekommen. “Ios ist für mich wie ein sicherer Hafen. Ich bin hierher zurückgekommen, weil ich mir das Leben in Athen nicht mehr leisten kann und weil ich dort keine Perspektive habe. Ich habe studiert und will das, was ich gelernt habe, hier anwenden, um die Dinge besser zu machen”, sagt sie. Wenn man die Politik ändern wolle, dann müsse man bei sich selbst anfangen.
“Das Problem ist, dass sich in Griechenland niemand an Gesetze hält. Das fängt beim Schulkind an und hört beim Politiker auf. Zum Beispiel das Rauchverbot in Lokalen: In Griechenland ist das Rauchen in Lokalen genauso verboten wie überall anders auch. Aber die Leute rauchen überall! Trotzdem bin ich optimistisch. Wir können und wir werden diese Krise überwinden. Ich sage nicht: Gebt uns mehr Geld! Ich sage bloß: Nehmt uns das wenige Geld, das wir haben, nicht auch noch weg!”
Stefanos: Träume
Stefanos, 26 Jahre alt, ist Polizist in Kardamyli, einem kleinen Ort in der Mani, jener saftigen Region am südlichen Peloponnes, in der sich alles um Olivenbäume und Olivenöl dreht.
“Bei uns auf der Polizeistation haben wir eine Liste aufgehängt, in der jeder einträgt, was fehlt, und zwar von der Glühbirne bis zum Bleistift. Danach gibt jeder Polizist ein bisschen was von seinem privaten Geld her, damit die Sachen gekauft werden können. Es ist nicht toll, aber es funktioniert.”
Früher lebte Stefanos in Athen. Die Erfahrungen in der Hauptstadt waren ganz anderer Natur. Er erinnert sich beispielsweise an einen Pakistani, der sich verhaften lassen wollte, weil er seit drei Tagen nichts mehr gegessen hatte. Schließlich fragt er: “Ist einer, der etwas zu essen stiehlt, bloß weil er Hunger hat, wirklich ein Dieb?” Eines ist fix: Weg aus der Mani will Stefanos nicht mehr. Und schon gar nicht zurück nach Athen.
“Das Schlimmste ist, dass uns die Krise unsere Träume nimmt. Aber meine Generation hat ihre Lektion gelernt. Wir werden dieselben Fehler nicht noch einmal machen. Noch haben wir unsere Träume.”
Eleni: Angst
Die 23-jährige Eleni studiert in der venezianischen Hafenstadt Chania. “Europa, das ist für mich Kommunikation. Das sind die Möglichkeiten, dass wir alle miteinander reden und voneinander lernen.” Ein Griechenland ohne Europa? “Das kann ich mir nicht vorstellen. Und schon gar nicht ein Europa ohne Griechenland!”
Die Offenheit ihres Lächelns geht direkt ins Herz. “Weißt du, ich kenne viele Studenten, die weggehen wollen. Aber ich möchte hier in Griechenland bleiben”, sagt die Rothaarige, “selbst wenn ich das Land verlassen müsste, dann würde ich dem Klima und der Kultur treu bleiben, ich würde entweder nach Italien, nach Spanien oder nach Portugal gehen. Ich weiß, die haben auch alle Probleme, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, in einem bewölkten Land zu leben.”
Ihre größte Angst, ihr größter Wunsch? “Schau”, sagt sie, “ich bin jetzt 23 Jahre alt, ich will keine Angst haben. Meine derzeitige Sorge ist eher, wie ich meine Examen schaffe, und natürlich, wie ich meine Miete zahle. Aber diese Sorgen hat jeder. Und mein größter Wunsch ist, dass ich herausfinde, was ich von meinem Leben will und wie ich glücklich werde.”
Maria: Identität
Maria ist Anfang 30 und lebt in Vassilikos, im Süden der wunderschönen Bilderbuch-Insel Zakynthos.
“Ich bin stolz darauf, in Griechenland zu leben”, sagt sie. “Gut, die Situation ist schwierig. Wir sitzen hier und warten und wissen eigentlich nicht genau, worauf. Viele junge Menschen kommen jetzt wieder zurück aus Athen und lassen sich auf dem eigenen Stück Land nieder, das der Familie gehört. Sie können ihr Haus bauen und haben alles zum Leben, was sie brauchen.”
Athen ist ganz anders. “Wenn du reich bist, bist du gut. Und wenn wir nicht gut sind, dann können wir auch nichts kaufen. Aber dann können andere auch nichts verkaufen. Es wäre doch viel einfacher, wenn wir sagen könnten: ‘Okay, dieser Ort macht Schulden, oder dieses Land hat Probleme. Dann sperren wir es einfach zu, und das Problem ist erledigt.’ Aber so ist es nicht. Alles hängt zusammen!”
Und was tun? “Man muss anfangen, an jeden zu denken und nicht nur an sich selbst. Wir Griechen müssen uns darauf besinnen, was wir können und wer wir sind. Dann wird auch alles wieder besser.”
-> Blog: Griechenland blüht
http://derstandard.at/371/Und-ueberall-ist-eine-Quelle-Griechenlands-Menschen-am-Wort