Ios, April 2012
5 Uhr morgens, an Schlafen ist nicht mehr zu denken. 7 – 8 Bft Wind verwandelnd den Hafen in einen Druckkochtopf, Wellen schlagen gegen den Rumpf, das Schiff springt wie ein Geißbock. Zwischendurch kleine Regenschauer, die sind unsere kleinste Sorge. April. Die Frage wird sein, ob wir am Vormittag überhaupt von Bord kommen. Wir haben das Schiff am Abend noch einen guten Meter von der Kaimauer weggezogen. Das war eine gute Entscheidung. Ein Landgang ist aber erst möglich, wenn wir uns der Mole wieder nähern dürfen. Es ist kühl. Hoffentlich können wir alles drehen, was wir uns für heute vorgenommen haben.
Gestern.
Der Bürgermeister erzählt uns von der Insel. Ungefähr 1800 Menschen leben hier ständig, in den Sommermonaten ist die Insel voll mit Touristen, hauptsächlich jungen Menschen aus der ganzen Welt. Der Umgang mit Menschen aus allen Ländern der Welt ist eine alltägliche Sache. Nicht nur der Bürgermeister ist optimistisch, “Obwohl,”, sagt er, “mit dem Tourismus ist das so eine Sache – man weiß nie!”
Mir fällt auf, dass die Insel architektonisch ehr liebevoll gestaltet ist, Große Hotelkomplexe sieht man nicht. Wir erfahren, dass es eine Verordnung gibt, die es nicht gestattet mehr als 2 Geschosse zu bauen. Hotels sind mit ca. 60 – 70 Zimmern limitiert, das soll jetzt auf 100 Zimmer erhöht werden. Die Regelung stammt aus den frühen 80er Jahren und gilt für viele Inseln in der Ägäis. Leider nicht für alle in Griechenland: Ein intaktes Landschaftsbild auf einer sehr natürlich wirkenden Insel, die viele wunderschöne Strände und Buchten und trotzdem (oder gerade deswegen?) ein offenbar ziemliches cooles Nachtleben hat, sind der Lohn dafür. Junge Menschen aus der ganzen Welt kommen hierher und haben schlichtweg eine gute Zeit.
Den Kontrast der Jahreszeiten stelle ich mir schwierig vor – im Sommer sieben Tage die Woche 16 Stunden “Vollgas” arbeiten und im Winter ein beschauliches Leben führen. Der Wechsel ist sicher nicht leicht und nicht jedermanns Sache. Dimitri (16) und Antonis (23) wollen beide auf der Insel bleiben. Im Winter widmen sie sich der Musik, von der sie am liebsten Leben würden – lachen, und stellen fest, dass dies wohl nicht gehen wird. Violine spielen hat sich Antonis selbst beigebracht, aus dem Internet.
Wir treffen Maria, die auf IOS geboren wurde, mit 12 Jahren wegging und nun ihre Freizeit und die Sommer auf der Insel verbringt. Sie erzählt uns, dass Griechenland ein ihrer Meinung nach gutes Bildungssystem hat und sie viele sehr gut ausgebildete und gut erzogene junge Griechen kennt.
Ob es so etwas wie Studiengebühren in Griechenland gibt? “Nein, natürlich nicht!”. Der Tonfall der Antwort klingt, als hätte ich eine unanständige Frage gestellt. Und zuletzt will ich wissen, was IOS für ihn bedeutet? Da strahlen die Augen des Bürgermeisters und die Antwort kommt spontan und aus dem Herz: “Für mich ist IOS wie ein Gedicht”. Politik fernab der Hauptstadt. Vielleicht ein Grund, warum Dimitris Cousine (27) nach ihrem Studium zurück auf die Insel kam, um hier eine Sprachschule aufzumachen: “Wenn Europa funktionieren soll, müssen wir ausdrücken können, was wir sagen wollen.” Ios im April 2012.